Eat the weed mit Pina Merle Winkler

Der große Hecht liegt regungslos auf dem Steg. Merle fixiert ihn. Sie hofft auf ein Wunder, das ihn wieder zum Leben erweckt. Der Fischer hat das gemacht, mit einer Holzkeule hat er ihm eins drübergezogen. Abends liegt der Fisch auf der Servierplatte, fein zubereitet.

4 Jahre ist sie alt, als sie mit ihrem Papa zum ersten Mal angeln geht und zugleich auf diesen Fischer und seinen toten Hecht trifft.

Den toten Fisch hab ich heute noch vor Augen. Von diesem Tag an war für mich klar, dass ich keinen Fisch und auch kein anderes Fleisch mehr essen werde. Bei ’normalem‘ Fleisch ist die Vorgeschichte ja noch schlimmer als bei diesem und anderen Fischen: Im Gegensatz zu den Schweinen und Hühnern, die viel zu oft unter schrecklichen Bedingungen gehalten werden, hatte der Fisch wenigstens noch glücklich in seinem See gelebt. Aber das wusste ich damals noch nicht.

Foto: Christine Lutz

Von einer Freundin erfährt Merle später vieles über die Massentierhaltung, wie Schweine dort zusammengepfercht und dann geschlachtet werden.

Vielleicht sollten sich alle Menschen diese Orte mal genauer anschauen, an denen Tiere, die letztlich auf unseren Tellern landen, in Massen gehalten und herangezüchtet werden.

Merle erzählt und erzählt, von dem Bericht eines Mädchens, das als Praktikantin auf einem Schlachthof arbeitet, von Schweinen und Hühnern. Sie erzählt vom Schreddern der männlichen Küken, die sich nicht als Masthähne eignen, von der Tierfütterung durch Computer, vom Leben der Tiere auf viel zu engem Raum. Ein bisschen angeekelt wirkt sie dabei schon, auch wenn sie versucht, es zu verbergen. Merle gehört zu denjenigen, die ihre Überzeugungen selbstbewusst und angenehm zugleich vertreten. Ohne dabei dem anderen seine Sichtweise streitig zu machen. Klar freut sie sich, wenn Freunde oder auch Leute, mit denen sie zufällig ins Gespräch kommt, offen für ihre Argumente sind. Sowieso lernt man in Gesprächen am meisten, findet Merle, aber manche wollen ja nichts hören, weil Fleisch eben ihr Gemüse ist.

Natürlich gibt es unter meinen Freunden viele Fleischesser. Insgeheim würde ich mich freuen, sie davon abzubringen. Aber ich will niemanden belehren. Ich mag es selber nicht, wenn das jemand bei mir versucht. Jeder kann für sich Schlüsse ziehen. Aber auf jeden Fall sage ich immer, was ich denke. Das mache ich schon.


Laut des Vegetarier Bunds (VEBU) ernähren sich allein in Deutschland um die 8 Millionen Menschen vegetarisch und rund 800.000 Menschen vegan. Täglich kommen laut Schätzungen etwa 2.000 Vegetarier und 200 Veganer hinzu. Die Anzahl der vegetarisch-vegan lebenden Menschen wird weltweit auf 1 Milliarde geschätzt. Ganz vorne an steht Indien. Vegane Kochbücher füllen die Präsentiertische sämtlicher Buchläden. Und vegane Produkte gehören längst zum Standard-Sortiment eines jeden Supermarktes.


Foto: Christine Lutz

Mit 12 beschließt Pina Merle Winkler nicht mehr nur auf Fleisch, sondern auf absolut alles, was vom Tier kommt zu verzichten. Merles Mutter ist bereits Veganerin. Das trifft sich gut. Ihr Vater nicht, aber der kocht ja so gerne mit Merle. Zu ihrer Konfirmation wünscht sich Merle von ihm ein veganes 5-Gänge-Menü, das sie gemeinsam zubereiten. Am Ende staunen alle Gäste nicht schlecht über jede der rein pflanzlichen Köstlichkeiten.

Ich liebe es, mir Gerichte auszudenken oder bekannte Klassiker abzuwandeln, vor allem die, bei denen angeblich das Fleisch die entscheidende Rolle spielt. Wenn Freunde zum Essen kommen, gibt’s gerne mal eine vegane Bolognese oder einen veganen Burger. Das sind zwei Gerichte, mit denen ich immer punkten kann.

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Foto: privat

In der 8. Klasse steht eine Jahresarbeit an. Die ideale Gelegenheit, ein veganes Kochbuch zu schreiben. Und zwar für all diejenigen, die gerne in der Küche stehen, es aber nicht zu kompliziert haben wollen. Und vor allem für diejenigen, die sich deshalb schon gar nicht an vegane Gerichte wagen. ‚Eat the weed‘! so der Buchtitel. Und zwar mit Zutaten, die jeder kennt und die leicht zu besorgen sind! Wir fragen, ob es mit diesem Titel nicht zu sprachlichen Mißverständnissen oder Irritationen kommen könne. Merle lacht verschmitzt…

Na klar, der Titel lädt zu falschen Vorstellungen ein. Mit ‚Weed‘ meine ich aber nur Grünzeug, Gemüse und nicht dieses andere Pflanzenzeug, das seinen unverkennbaren Duft über die Kontinente versprüht und viele glücklicher macht.

…dann schaut sie weg. Soll sich jeder seinen Teil denken. Ist doch ein guter Marketing-Gag, dieser verwirrende Titel.

Attila Hildmann, der ‚Verganerkönig‘ (Die Welt) bezeichnet sich selbst als ‚Lifestyle-Veganer‘. Bekannt ist er, weil er vegane Ernährung und Fitness miteinander verbindet. Das ist sein Masterplan. Und der trifft den Nerv unserer Zeit. Seine Kochbücher verkaufen sich wie nix. Und das im deutschen ‚Schweinshaxen- und Bockwurstland‘, wie der Autor in einem ZeitOnline-Interview spitz bemerkt.

Seine Bücher sind sehr unterhaltsam, aber wie oft hab ich erst einmal googeln müssen, mit welcher Zutat ich es da eigentlich gerade zutun habe und wo ich sie überhaupt her bekomme. Etliche seiner aufgeführten Produkte oder Zutaten gibt es nur in Bioläden oder anderweitigen Spezialgeschäften. Und dann sind sie für viele sowieso zu teuer. Mein Masterplan ist zu zeigen, dass vegan kochen weder kompliziert noch teuer sein muss.

Foto: Christine Lutz

Merles Plan ist Einfachheit. Sie stellt uns in ihrem Buch als Basis eine kleine Lebensmittelkunde zur Verfügung, und dann macht sie sich an die Rezepte, von der Vorspeise bis zum Dessert, alles unkompliziert und mit appetitlichen Fotos und Zeichnungen versehen. Die kleine Kochschule muss jetzt nur noch verlegt werden.

Das Vegan-Sein hat bei Merle rein gar nichts Aufgesetztes. Im Gegenteil, es scheint sich eingefügt zu haben in das Leben der 14-Jährigen an einem Ort, den andere aufsuchen, um endlich mal wieder weichen Boden unter den Füßen zu spüren oder durch ein lustiges Froschkonzert geweckt zu werden.

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Foto: Christine Lutz

Hier haben sich viele keative Menschen, Künstler, Handwerker, Biologen, Lehrer und etliche Stadtflüchtige zusammengefunden. Die meisten von ihnen sind naturverbunden. Sie leben ja auch in und mit der Natur. Man geht sehr freundschaftlich und familiär miteinander um. Merles Familie bewohnt eine alte Wassermühle. Im Garten stehen bunt angestrichene Zirkuswagen. Für Urlauber und Freunde, oder für Urlauber, die meistens Freunde werden.

Es ist immer bereichernd, wenn Besuch da ist. Die meisten Gäste sind total offen. Man kommt schnell ins Gespräch. Und am Schluss freut man sich gleich auf das nächste Zusammentreffen.

Foto: Christine Lutz

Das Dorf ist Merles Heimat, ihre Familie. Jede Ecke, jeder Pfad erzählt eine Geschichte. Gemeinsam laufen wir Lieblingsecken und -pfade ab. Merle strahlt dabei. Sie wirkt ein bisschen stolz. Oder einfach glücklich, uns das alles zeigen zu dürfen.

Merle sitzt auf Holzsteg
Foto Christine Lutz

Ich hab echt Glück. Es ist gut so, wie alles ist. Ich bin sehr zufrieden. Ich mag meine Familie, meine Freunde und den Ort, an dem ich lebe. Ich möchte immer wieder hierher zurückkehren, auch wenn ich irgendwann ganz woanders lebe.

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Foto: Christine Lutz


 


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Kommentare

2 Antworten zu „Eat the weed mit Pina Merle Winkler“

  1. Avatar von Andrea Nissen
    Andrea Nissen

    Hey Merle. Das ist ja toll! Wow! Ich bin sehr beeindruckt. Wo kann ich Dein Kochbuch bestellen?
    Liebe Grüße
    Andrea Nissen (Feos Mama)

    1. Avatar von Kathrin Richard

      Das Buch darf – wie erwähnt- noch verlegt werden, sehr gern sogar!

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